Genehmigung von Cannabis durch Krankenkassen: Die NEUE DISTANZ widmete sich in ihrem zweiten Fachworkshop der konkreten Lösung bestehender regulatorischer Unschärfen. Ausgewiesene Experten trugen mit ihrem Wissen dazu bei.
Beim ersten Workshop der NEUEN DISTANZ äußerten die Expert*innen deutliche Kritik an der bestehenden Regelung im §31 (6) des SGB V zur Versorgung schwerwiegend erkrankter Patienten mit medizinischem Cannabis. Besonders im Fokus stand die derzeitige Praxis des Prüfungsvorbehalts der Medizinischen Dienste der Krankenkassen vor der Kostenübernahme. Teilt diese Grundeinschätzung auch die gesamte Community der Cannabis-Experten in Deutschland? Die NEUE DISTANZ startete eine Umfrage unter den rund 200 ausgewiesenen Fachleuten.
Das Ergebnis war eindeutig. 90 Prozent der Teilnehmer*innen meinten, dass der Prüfvorbehalt der MDKs reformiert werden sollte. Doch wie? Ein Textvorschlag der NEUEN DISTANZ für diese Neuregelung stieß auf ein geteiltes Echo. Exakt 50 Prozent hielten die vorgeschlagene Regelung für zielführend – aber eben 50 Prozent auch nicht.
Damit war deutlich, dass ein weiterer Workshop mit der Fachcommunity sinnvoll sein würde, um gemeinsam den exakten Text für eine Neuformulierung zu erarbeiten. Dieses Treffen fand Anfang Mai in Berlin statt. Teilgenommen haben: Johannes Rahm, Oberarzt für Palliativmedizin am Helios Klinikum in Bad Saarow, Simon Schmidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Frau Professor Dr. Gundula Barsch vom Fachbereich Soziale Arbeit, Medien, Kultur an der Hochschule Merseburg, Laura Huber von der Demecan GmbH, Knud Gastmeier, Facharzt für Anästhesiologie, Jan Witte, Medical Director Aphria Germany, Andreas Ganter, von „Therapieladen e.V.“, einem Suchttherapiezentrum, Sebastian Schütze, Mitglied der Geschäftsführung beim „Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V.“ (BPI), Heiko Mohrdiek, Strafrechtler und Vorsitzender des Vorstandes der „Hanf AG“, sowie Björn Prange, Senior Consultant der Pivot Regulatory GmbH. Moderiert wurde der Workshop vom Leiter der NEUEN DISTANZ, Thomas Franke.
Einhellig für sinnvoll erachtet wurde, dass überhaupt eine gesetzliche Regelung besteht. Knud Gastmeier machte darauf aufmerksam, dass das Gesetz den Eigenanbau und die Eigentherapie mit Cannabis eindämmen soll. Denn: Problematisches Suchtverhalten zeigen diejenigen, die sich selbst eine sehr hohe Dosierung verabreichen. Die Masse der Patienten in medizinischer Behandlung werden jedoch mit weit geringeren Tagesdosen – bis zu 20mg pro Tag – behandelt.
Eine allgemeine Schwellenwertdiskussion wurde jedoch nicht für zielführend angesehen. Zu variantenreich sind die unterschiedlichen THC und CBD Wirkstoffkombinantionen, zu gering das Fachwissen über die Evidenz, als dass sich hier verbindliche Wirkstoffwerte ableiten ließen. Dennoch waren sich die Teilnehmer einig, dass eine verbindliche Regelung für die MDKs notwendig ist, die den Ärzten in ihrer Therapiefreiheit mehr Spielraum einräumt, und nicht, wie es ein Teilnehmer ausdrückte, ihre Arbeit „banalisiert“. Als ein weiterer hilfreicher Vorschlag wurde eine Evaluierungsphase vorgeschlagen. Innerhalb dieser Zeit sollte den Ärzt*innen die Möglichkeit gegeben werden, Cannabis als Medizin relativ frei einzusetzen. Diese Phase schließt mit einer evidenzbasierten Beurteilung des Therapieerfolges.
Die Neuformulierung des §31 (6) SGB V lautet demnach wie folgt:
„§ 31 SGB V
(6) Versicherte mit chronischen oder schwerwiegenden Symptomkomplexen im Sinne des §62 SGB V haben Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol, Nabilon oder CBD, wenn:
1. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht oder
2. eine gleichermaßen erfolgversprechende allgemein anerkannte, dem
medizinischen Standard entsprechende Leistung
- nicht zur Verfügung steht oder
- im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen oder unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann.
Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten nach einer Evaluierungsphase von drei Monaten, der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse. Der Beginn der Behandlung sowie die Erstmedikation ist der Krankenkasse unmittelbar anzuzeigen. Die Evaluierung des Therapieerfolgs wird zum Ende der dreimonatigen Testphase durch den Patienten (PROM) und den behandelnden Arzt vorgenommen. Eine Empfehlung des MdK zur Ablehnung der Kostenübernahme muss eine durch angemessene Evidenz belegte Begründung enthalten.
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