Die NEUE DISTANZ sprach mit Gert Georg Wagner. Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler baute am DIW Berlin das „Sozio-oekonomische Panel“ (SOEP) zur größten und am längsten laufenden Langzeitstudie zur sozialen und wirtschaftlichen Lage in Deutschland aus. Er arbeitet noch immer für das SOEP, aber der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt jetzt im Max Planck Institut für Bildungsforschung und im Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes berät unter anderem die Bundesregierung, als Vorsitzender des Sozialbeirats und als Mitglied im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen.
Herr Professor Dr. Wagner, die digitale Transformation ist ein heiß diskutiertes Thema in der Wirtschaftspresse. Was ist das Neue daran?
Eigentlich gar nichts. Über Transformation wurde schon diskutiert als ich studiert habe. Transformation gehört zur Wirtschaft einfach dazu. Das gab es schon immer und wird es auch noch immer geben. Genauso wird, seit ich denken kann, darüber diskutiert, dass Fortschritt dazu führt, dass uns die Arbeit ausgeht. Das Gegenteil war bislang der Fall.
Aber die Digitalisierung ist doch ein ganz neues Phänomen und hat massive Auswirkungen auf die Wirtschaft?
Natürlich verändert Digitalisierung die Wirtschaft und auch unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Neue Möglichkeiten entstehen – nehmen Sie nur die neue Form der Plattformökonomie. Dafür fallen andere Geschäftsmodelle weg. Das führt zu Verschiebungen und neuen, teils dramatischen Situationen. In bestimmten Branchen fallen auch Arbeitsplätze dauerhaft weg. Das ist für die Betroffenen auch schmerzhaft und die Politik muss sich darum kümmern. Aber deswegen geht uns die Arbeit nicht insgesamt aus. Die Gesellschaft passt ihre Bedürfnisse an neue technologische Möglichkeiten an. Im Bereich der Erziehung diskutieren wir nun über Bildung im Vorschulalter. Gesundheit, Krankenversorgung und Pflege sind Wachstumsmärkte. Ob die Digitalisierung insgesamt massive Auswirkungen auf die Beschäftigungszahlen haben und zu großen Arbeitsplatzverlusten führen wird, muss sich erst noch herausstellen. Ich erwarte das nicht.
Dabei macht doch das Wort von der „Disruption“, also dem Aufgeben linearer Unternehmensentwicklung hin zu völlig neuen Ansätzen, die Runde…
Das sind Schlagworte, die kommen und gehen. Große Unternehmen haben sich doch nie linear – gemeint ist dabei wohl Gradlinigkeit – entwickelt. Erfolgreiche Unternehmen entwickeln sich ja eher quadratisch, um in dem merkwürdigen Bild zu bleiben. Ob ein Unternehmen mit einem disruptiven Vorgehen gut beraten ist, ist eine ganz individuelle Entscheidung, die sicherlich nicht nur von der technischen Entwicklung in dem spezifischen Bereich abhängig ist, in dem das Unternehmen agiert. Spekulationen über Disruption sind eher was für das Feuilleton und Unternehmensberater. Aber nichts für reale Unternehmen.
Aktuell findet eine sehr grundsätzliche Debatte in noch einem anderen Bereich, anlässlich der Industriestrategie von Peter Altmaier statt. Dieser will hiesige Großkonzerne stärken, um sie fit für den globalen Wettbewerb zu machen. Kevin Kühnert von den Jungsozialisten will Betriebe lieber verstaatlichen. Andere, wie Josef Joffe, wollen lieber dem Mittelstand den Rücken stärken. Wer von denen hat denn nun Recht?
Keiner. Ob Großkonzernstrukturen für die Zukunft die richtige Lösung für mehr Wettbewerbsfähigkeit sind, muss man doch eher bezweifeln. Verstaatlichung ist absurd und Kollektivierung funktioniert auch nicht ohne Weiteres. Man denke an den gemeinnützigen Wohnungsbau, der grundsätzlich sinnvoll ist, aber in der Vergangenheit auch immer mal wieder Probleme produziert hat. Dem Mittelstand wie auch den Großunternehmen kann der Staat durch eine zügige Renovierung und gezielten Ausbau der Infrastruktur in Deutschland helfen – nicht aber durch Steuersenkungen und Deregulierung.
Unternehmen, insbesondere wenn sie international agieren, leiden zunehmend unter Machtpolitik, den Handelsstreitigkeiten zwischen Staaten, Strafzöllen, Embargen. Was raten sie Unternehmern, wie sie diese Risiken bestmöglich für sich vermeiden können?
Unternehmer und Manager sollten begreifen, dass sie nicht in einer eigenen Welt leben, die sie für besser halten als die Welt der Politik. Unternehmer und Manager sollten sich in die politische Debatte stärker einbringen. Die aktive Teilhabe am politischen Willensbildungsprozess ist wichtig. Unternehmer und Manager haben keinen Grund auf die Politik herabzuschauen, gerade Manager kennen sich mit Machtspielen ja bestens aus.
Vielen Dank, Herr Professor Wagner, für das Gespräch!